Ruth Bai

November 2018, Dezember 2018

«Das macht man in erster Linie für sich»

Ruth Bai hatte sich schon früh mit den drei wichtigsten Papieren des Lebensabends beschäftigt – Patientenverfügung, Testament und Vorsorgeauftrag. Im Frühling 2018 ist sie in Pension gegangen.

Text: aufgezeichnet von Kurt Broger (Schweizerische Muskelgesellschaft, Fotos: aus Bestand Ruth Bai

Die sehr seltene Muskelerkrankung Central Core Disease, eine kongenitale Myopathie, begleitete sie ihr Leben lang. Gleich nach der Geburt fiel ihren Eltern auf, dass sie nicht schreien und nicht saugen konnte. Vor zwölf Jahren erkrankte sie an Brust-krebs und musste sich dem gesamten Programm (OP, Chemo und Bestrahlung) unterziehen. Das war eine schwierige Zeit. Die Körperkräfte waren schon so nicht gross, die Therapien kosteten zusätzlich Energie. Die Unterstützung ihres Ehemannes, der selber Theologe und Psychologe ist und als Pfarrer gearbeitet hatte, half ihr sehr bei der Verarbeitung. Auch ihr gutes Umfeld und ihr christlicher Glaube trugen sie in jener schweren Zeit. Sie führte einen Blog über ihre Krankheit, das war wie ein Ventil für sie.

Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung etc.?

Ihre Patientenverfügung erstellte sie schon vor der Krebskrankheit. Später bereitete sie ihre eigene Abdankung vor, entwarf die Todesanzeige und ansatzweise einen Lebenslauf. «Das macht man in erster Linie für sich selber,» ist sie überzeugt, «und dann für die Nachkommen.» Für Ruth Bai entpuppten sich diese Vorbereitungen als eine Befreiung, nachdem sie innere Widerstände überwunden hatte. Das Testament des Ehepaars kam dazu und vor einem Jahr mit Blick auf das Erwachse-nenschutzrecht der Vorsorgeauftrag. Diese Willensäusserungen werden alle drei Jahre überprüft.

Durch die Arbeit ihres Mannes und auch ihrer eigenen Lebensgeschichte verfügte Ruth Bai über genügend Erfahrung und Erlebnisse von Familien, die sich wenig um die Zukunft gekümmert hatten. Oft erlebten sie Menschen, die ihren Nachkommen vor allem Unsicherheiten, welche häufig genug in Streitereien ausarteten, hinterliessen. Die klaren, formal definierten Willenserklärungen zur Behandlung in einem Moment, in dem man wegen eines Unfalls oder einer plötzlichen Krankheit nicht mehr selber für sich sprechen kann, sollten heutzutage zum normalen Gesprächsstoff einer Familie gehören. Das ist sehr wichtig! Es darf nicht zu Überraschungen führen, sollte der Moment denn wirklich eintreten.

Ruth hinterfragt viele Dinge des Lebens

Ruth Bais Gedanken gehen allerdings sehr viel weiter. Wie schon in jüngeren Jahren hinterfragt sie viele Dinge des Lebens. Diese Fragen führten damals zur Gründung des Vereins Glaube und Behinderung (www.gub.ch), den sie 26 Jahre lang leitete. Wichtig am Glauben ist ihr, dass Fragen an Gott gestellt werden können – auch wenn sie unbeantwortet bleiben. Zum Beispiel die nach dem Sinn eines Geburtsgebrechens mit lebenslangen schweren Einschränkungen. Aber auch ganz konkret nach der künftigen Lebensform, wenn die körperliche Kraft weiter nachlässt. Wie gestaltet sich dann der Alltag? Muss die selbständige Wohnform aufgegeben wer-den? Gibt es denn Institutionen, welche für diese Art von Einschränkungen eingerichtet sind?

Ruth wandert gerne in den Bergern.

Sich dem Leben stellen und Lösungen finden

Wie existenziell solche Überlegungen sind, zeigt die Tatsache, dass Ruth Bai nicht selber aufstehen könnte, würde sie einmal stürzen, was durchaus möglich ist. Wie würden die Menschen reagieren, sollte dies in der Öffentlichkeit passieren?

Würden sie ihr einfach wieder in die Aufrechte helfen oder gleich einen Krankenwagen rufen? Würden sie erkennen, dass sie körperlich eingeschränkt ist und nicht unter Drogen?

Diese Vorstellungen schüren die Angst, ohne Vertrauensperson unter Leute zu gehen und schränken den Tätigkeitsradius stark ein. Die Angst ist real. Ein Sturz kann mangels der Kraft, um sich aufzufangen, auch zu Verletzungen führen, welche die täglichen Einschränkungen dauerhaft ver-vielfachen würden.

Man sieht Ruth Bai diese Angst nicht an. Ihr Glaube, ihre theologische Schulung und die Lebenserfahrungen tragen sie trotz solch drückender Gedanken. Sie scheint eher eine Motivation zu sein, eine Art Elixier, sich dem Leben wie es ist zu stellen und Lösungen zu finden für ungewöhnliche Situationen, weil eben keine einfachen Antworten zur Verfügung stehen.

Infos zum Artikel

Lebensbericht wurde in dieser Infozeitschrift veröffentlicht:
GuB_Info-Zeitschrift_2016_1, Seite 4

Mit freundlicher Genehmigung der Muskelgesellschaft

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