«Partir, c’est toujours mourir un peu»*

Januar 2015, Von Christian Kohli

* Abschied ist immer wie ein bisschen sterben (der kleine Prinz, Saint-Exupéry).

Als Christian Kohli 47 Jahre alt war, spürte er plötzlich eine anhaltende Spannung in den Fingern der rechten Hand. Die nachfolgenden Untersuchungen brachten keine Resultate. Selbst ein erfahrener Neurologe konnte sich keinen Reim darauf machen.
Etwa drei Jahre später wurde die Diagnose Parkinson gestellt. So schwer diese auch war, bedeutete sie doch eine Erlösung von der langen Ungewissheit, die sich zeitweise lähmend über den Patienten gelegt hatte.

Christian Kohli erzählt: «Über 20 Jahre hatte ich als Zahnarzt in meiner Praxis gearbeitet. Ich hatte versucht, Ehe, Familie, Beruf und das Ältestenamt in einer Freien Evangelischen Gemeinde unter einen Hut zu bringen.
Nach der Diagnose riet uns der Neurologe klugerweise, im Moment keine einschneidenden Veränderungen in unserem Leben vorzunehmen. Ich rede hier bewusst im Plural, da eine solche Diagnose nicht nur den Erkrankten, sondern immer auch seine Familie betrifft.
Die Ärzte gaben mir grünes Licht, vorläufig noch weiter arbeiten zu können, da ich ausser leichten Schmerzen anfangs praktisch keine Einbussen hatte bei der Berufsausübung. Einzig mein Arbeitstempo wurde langsamer. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass beim Auftreten der Krankheit bereits 70 % der Dopamin produzierenden Zellen abgestorben sind, dass also ohne veritables Wunder keine Genesung möglich ist.

Ich liess für mich beten

Ich glaubte und glaube, dass Gott nach wie vor Wunder tut, aber an mir tat er keines. Mindestens keines, das ich erhoffte. Ich habe die Leiter der Gemeinde für mich beten lassen, und viele Verwandte und Freunde stehen für mich ein im Gebet. Ich habe bis heute noch von keiner Heilung eines Parkinsonpatienten gehört.

Dass Gott aber immer wieder die Kraft zum Ertragen gibt, ist für mich ebenso ein Wunder wie eine Heilung.

Bei mir sind der Rigor (Versteifung) und die Schmerzen die Hauptsymptome. Dies entspricht eher einer weniger häufigen Form des Parkinsonsyndroms, welches bei jedem Patienten eine andere Ausprägung hat.
Ich bin dankbar für die guten Medikamente, die mir ein erträgliches Leben ermöglichen.
Leider können aber auch die wirksamsten neuen Parkinsonmedikamente nicht verhindern, dass die Restbestände der dopaminergen Zellen weiter abnehmen. Dieser unerklärliche, nicht zu stoppende Zelltod ist verantwortlich für das weitere Fortschreiten der Krankheit.
Ich bin dankbar, dass bei mir die Krankheit bis jetzt relativ langsam vorangeht.
So konnte ich meinen Beruf noch sechs Jahre lang weiter ausüben.

Neue Probleme aufgetaucht

Nach und nach wurden aber folgende zwei Probleme in den Vordergrund gerückt:
Die Verlangsamung und die verstärkte Müdigkeit. Als dann noch Schwierigkeiten im Ablauf gewisser komplexer Handbewegungen auftraten, reifte der Entschluss, die Berufstätigkeit aufzugeben. Das ist mir nicht leicht gefallen, da ich mich den Patienten gegenüber verantwortlich fühlte und die Praxis gut lief. Glücklicherweise habe ich ein kompetentes, junges Zahnärzte-Ehepaar gefunden, das meine Praxis vor fünf Jahren übernommen hat. Das hat mir das Loslassen enorm erleichtert.

Aufenthalt in der Parkinsonklinik

Einige Monate nach der Praxisaufgabe weilte ich für fünf Wochen in einer Parkinsonklinik, um die Medikation optimaler einzustellen. Der Aufenthalt erwies sich als nicht unproblematisch: Ich stand noch ziemlich am Anfang meiner Krankheit und war fast nur von Leuten umgeben, die fortgeschrittene Stadien der Krankheit erleben und erdulden mussten.
Dieses Erlebnis hat mich bewogen, nach dem Klinikaufenthalt vorläufig keine Selbsthilfegruppe oder ähnliches zu besuchen. Dies nicht aus Überheblichkeit, sondern weil ich ausser den Schmerzen und der Steifheit der rechten Körperhälfte noch nicht ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl verspürte.

Eine weitere Passion lebt der ehemalige Zahnarzt mit der Fotografie. Diese wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt. «Fotografieren heisst sehen, entscheidend ist das Auge. Es gibt noch so viel Schönes zu entdecken», bekräftigt das initiative Multitalent und gibt Gott, dem Schöpfer aller Dinge, Ehre und Dank.

Meint es Gott gut mit mir?

Seit meiner Kindheit glaube ich an den Gott, den die Bibel beschreibt. Ich erlebte in meiner Glaubensbeziehung viele schöne, aber auch viele schwierige Stunden. Ob Gott es nur gut mit mir meint, hat mich in jüngerer Vergangenheit umgetrieben. Natürlich steht es so geschrieben und natürlich müsste ich das nur glauben, aber wenn man durch ein dunkles Tal geht, kann der Zweifel schon nagen.
In dieser Situation kam mir plötzlich ein Gedanke, der mich tröstete und der es mir erlaubt, Gottes Güte zu erkennen und ihm dafür zu danken: Es ist die Allwissenheit des Allerhöchsten! Würde er den Ausgang einer Sache nicht kennen, und dabei doch Krankheit, Leid, Hunger und Krieg zulassen, könnte er nicht der liebende Vater sein. Tröstlich ist für mich auch der Gedanke, dass ich einmal einen neuen Leib bekommen werde in der Ewigkeit.

Psalm 73, ein wichtiger Text

Es wird eine Situation beschrieben, wie sie schon tausende von Menschen aller Herkunft und Bildung immer wieder erlebt haben und erleben. Der Psalm gibt Anleitung, was wirklich wesentlich ist, und wie ein Leben zu Ende gelebt werden kann. Mein Gebet ist, dass ich trotz schwindender Kräfte und zunehmender Schmerzen zur Ehre des himmlischen Vaters leben kann.

Herr, wenn ich dich nur habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Psalm 73. 25-26

Nicht, dass das schon völlig mein eigenes Gebet wäre, aber ich bin am Buchstabieren. Ich übe, loszulassen. Man könnte auch sagen: «Parkinson, c’est toujours mourir un peu…»

Mein geliebtes Hobby

Das Musizieren ist Christian bis heute erhalten geblieben. Einzig das Singen in höheren Lagen gelingt ihm nicht mehr. Auf seiner Oboe übt und musiziert er fast täglich. «Ich merke immer wieder, wie das meiner Seele und meinem Körper gut tut. Auch das Zusammenspiel mit Freunden aus der Gemeinde bedeutet mir sehr viel. Über viele Jahre hinweg wurden mir immer wieder Musiker an die Seite gestellt. So konnten wir in den Gottesdiensten und Konzerten auch Meisterwerke aufführen, wie Vivaldis Flöten-, Oboen- und Cellokonzerte, das 4. Brandenburgische Konzert, Mozarts Oboen Quartett und andere.»

Musik zur Ehre Gottes

Schon seit seiner Jugendzeit berührt ihn die Musik von Johann Sebastian Bach zutiefst. Vor der Computerära habe er fast alle Flötensonaten von Bach von Hand transponiert und öffentlich gespielt. Der passionierte Oboist sprüht vor Glück, dass etliche verschollene Oboenkonzerte von Bach in den letzten Jahrzehnten rekonstruiert werden konnten. Es seien Werke von einmaliger Schönheit, aber auch Werke, die physisch und punkto technischer Schwierigkeiten äusserst anspruchsvoll sind.

Infos zum Artikel

Lebensbericht wurde in dieser Infozeitschrift veröffentlicht:
GuB_Info-Zeitschrift_2015_1, Seite 8

Der Entschluss, meine Berufstätigkeit aufzugeben fiel mir nicht leicht. Ich fühlte mich den Patienten gegenüber verantwortlich. Die Praxis lief gut.

Christian Kohli

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