Hauptsache gesund stimmt nicht

August 2015, Interview von Ruth Bai-Pfeiffer mit Jürgen Mette

Wie hat sich Parkinson bei Ihnen bemerkbar gemacht?

Vor 12 Jahren durch den Verlust des Geruchssinns und vor 7 Jahren durch vermehrtes Zittern im Ruhezustand (Tremor) linksseitig in Bein und Arm.

In welchen Lebensumständen waren Sie damals?

Kerngesund, erfolgreich, zufrieden, leicht und locker. Erfülltes Privat- und Berufsleben.

Was hat diese Diagnose bei Ihnen ausgelöst?

Verzweiflung, deprimierte Zukunftsperspektive, Angst, Sorge, Zweifel an meiner bis dahin sicher geglaubten Theologie.

Gab es Einschränkungen oder konnten Sie das Leben normal weiterführen?

Nach einer vierwöchigen Schwermutsphase habe ich wie vorher weitergearbeitet. Die körperlichen Einschränkungen verliefen moderat, aber inzwischen langsam steigend. Der Kopf blieb hellwach, kreativ und leistungsfähig. Aber nach vier Jahren konnte ich die Last der wirtschaftlichen und personellen Verantwortung für eine rasant wachsende Medienstiftung nicht mehr tragen, so dass ich um Entpflichtung von den Aufgaben des Geschäftsführers bitten musste. Nun lebe ich meine Berufung: predigen, lehren, schreiben, zuhören und beraten.

Was war in dieser Anfangsphase für Sie wichtig?

Mich selbst zu  schützen vor Hobby-Therapeuten, Frommschwätzern und Heilungsschwärmern. Ich lebe in einem großen Netzwerk wertvoller Freundschaften, so dass ich viel Empathie und Fürsorge und Fürbitte erlebt habe.

Welche Hilfen haben Sie in Anspruch genommen?

Ich gehe einmal im Quartal zu meiner Ärztin und einmal in der Woche zur Physiotherapie, so oft wie möglich ins Fitness-Studio und aufs Mountainbike (mit E-Motor). Da ich beruflich viel unterwegs bin, komme ich kaum dazu, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Ich habe selbst eine Gruppe für parkinsonkranke Theologen gegründet.

Wie hilft Ihnen der Glaube in diesen Umständen?

Ohne meinen Glauben an Jesus Christus müsste ich verzweifeln. Aber mein Glaube ist auch heftig getestet worden. Ich habe mich theologisch mehrfach gehäutet. Aber ich habe das Klagen gelernt, eine Form des Gebets in einer anderen Tonart.

Wie hat ihre eigene Krankheit Ihre Sicht auf schwache Menschen verändert?

Ich nehme sie überhaupt erst einmal wahr. Ich sehe jetzt die Barrieren, die tausend kleinen Hürden, die den Behinderten das Leben erschweren. Und ich ahne, wie es den Rolli-Piloten geht, wenn ihnen die Menschen statt auf Augenhöhe nun auf Hüfthöhe (oder Bauchhöhe) begegnen.

Welche Einstellung haben Sie heute zu Heilungsversuchen?

Heil sein ist wichtiger, als geheilt zu sein. Ich bin offen für völlige Heilung – wer wäre das nicht? Aber ich will mich nach 57 Jahren bester Gesundheit jetzt nicht davon stehlen, sondern die Krankheit tragen, d.h. akzeptieren, aber auch in den Fortschritten der Diagnostik und Therapie Gottes heilendes Handeln an mir erkennen. Überambitionierte Heilungsphantasten mögen mich verschonen.

Erzählen Sie uns mehr von einer Glaubenserfahrung.

Mein Diagnostiker hat vor sechs Jahren gesagt: „Herr Mette, sie sind Pastor. Hören sie auf zu jammern. Sie müssen jetzt das selber tun, was sie den Leuten immer gepredigt haben.“ Das habe ich in über 150 Veranstaltungen erlebt, seit das Buch „Alles ausser Mikado“ auf dem Markt ist.  Der gleiche Arzt hat mir nach der Diagnose gesagt: „Sie werden wegen Parkinson keine Predigt absagen!“ Heute – sechs Jahre später – muss ich bekennen, dass ich keinen einzigen Dienst krankheitshalber absagen musste. Wenn ich auf der Bühne stehe und referiere, lese oder predige, bin ich nahezu völlig zitterfrei. Und die Parkinsonsymptomatik ist nicht auf meinen Sprachapparat geschlagen. Und ich kann immer noch mit zwei Fingern Bücher und Artikel schreiben, das ist ein Wunder.

Gibt es etwas, was Sie unseren LeserInnen noch sagen möchten?

Hauptsache gesund stimmt nicht. Behinderte und kranke Menschen können großartige Botschafter der Hoffnung sein. Ich kann jedenfalls wieder glauben, dass ich die beste Zeit meines Lebens erst noch vor mir habe. Mit der Antithese muss ich mich allerdings auch täglich auseinandersetzen, dass möglicherweise die schwerste Zeit meines Lebens vor mir liegt. Wenn Gott mir den Humor erhält, wird vieles leichter gehen. Vielleicht gibt es bald ein erstes Medikament, das nicht nur die Symptome bekämpft, sondern die Ursachen.

Infos zum Artikel

Lebensbericht wurde in dieser Infozeitschrift veröffentlicht:
GuB_Info-Zeitschrift_2015_1, Seite 12

Vita Jürgen Mette

Jürgen Mette (63) seit 34 Jahren verheiratet, drei erwachsene Söhne, drei Enkelkinder. Studium am Theologischen Seminar Tabor in Marburg, fünf Jahre Jugendpastor und Referent für Jugendevangelisation. 1990-1996 Leiter der Evangelistischen Zentrale des DGD e.V.  für den Bereich Gemeindeberatung und Evangelisation.

Neben der bundesweiten Vortrags- und Beratertätigkeit hatte Jürgen Mette bis 2014 einen Lehrauftrag im Fachbereich Praktische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor. Von 1992 bis 2013 amtierte er als Vorsitzender des Stiftungsrates der Studien- und Lebensgemeinschaft Tabor. Seit 1997 leitete er die „Stiftung Marburger Medien“. Seit 2007 gehört er zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz und seit 2011 zum Beirat des Kongresses christlicher Führungskräfte.

Seit 2009 erkrankt an Morbus Parkinson. Buchautor von „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“. Im Frühjahr 2013 Aufgabe des geschäftsführenden Vorstandsvorsitz der Stiftung Marburger Medien; Hauptfokus auf bundesweite Vortrags- und Schulungsarbeit.

Das Buch kann im Bibel Panorama bestellt werden.

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